Eintrag 12 - Der Abgesandte (Teil 1)
- Zagreb, 25. Mai 2039
Der temporäre Kommandoposten lag außerhalb der Stadt in den Ruinen eines einst lebhaften Vororts. Der saphirblaue Himmel, der süße Duft der Akazien und der Gesang der Vögel, die dem Gemetzel am Boden keine Beachtung schenkten – all das ließ den Ort fast idyllisch erscheinen.
Die Gegend war einst Heimat für Tausende, doch die massive Rezession und der ewig andauernde Konflikt ließ die Menschen abziehen und ihr Glück in den Strukturen der gierigen Weltkonzerne zu suchen. Eine Generation frei geborener Bürger, dazu verdammt, als Sklaven der Wirtschaftsmächte zu sterben.
Die leuchtenden Farben des Frühlings bildeten einen starken Kontrast zu den verfallenen Ruinen, dem Geröll, das in all den Jahren nicht weggeräumt worden ist und den finsteren Gesichtern der Männer in Clayburn-Uniformen, die große Kisten auf Lastwagen luden. Die Evakuierung war im vollem Gange - das war der Preis der Niederlage, dachte Seagrove traurig.
Er ging an Major Kathryn Grey vorbei, die auf ihrem Panzer saß und mit einem leeren Blick vor sich hinstarrte. Der Anblick einer vertrauten Person, die sein Leid mit ihm teilte, verbesserte seine Stimmung ein wenig.
„Kate!", rief er.
„Du weißt ganz genau, dass ich es hasse, wenn man mich so nennt", antwortete sie ihm mit einem strengen Gesichtsausdruck, doch er konnte die leichte Spur eines Lächelns auf ihren Lippen erkennen.
„Ja, das weiß ich. Wartest du immer noch auf den Boss?"
Ihr Gesicht wurde wieder ernst. Sie nickte.
„Er kommt zu spät. Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Und diese Rotznase Clayburn ist nur darauf aus, jemandem die Schuld an dem Schlamassel in die Schuhe zu schieben."
Er sah zum Kommandozelt hinüber, das zwischen zwei Hausruinen errichtet wurde und erblickte Blackwood, der sich mit einem grimmigen Gesichtsausdruck dem Eingang näherte. Seagrove mochte den Mann. Blackwood wusste, wann die Zeit für Druck war und wann er die Zügel lockern konnte. Er war ein stämmiger Mann von unbestimmten Alter – in seinen späten Fünfzigern, schätzte Seagrove. Sein Haar war grau und auf seinem runden, jovialen Gesicht hing meist ein verschmitztes Lächeln. Allerdings nicht an diesem Tag.
Blackwood winkte den beiden zu und Seagrove ging zu ihm hinüber. Grey sprang lustlos von ihrem Panzer und folgte ihm, als er sich schon dem Zelteingang näherte.
Drinnen war es heiß. Die abgestandene Luft roch nach Staub und Schweiß, woran auch die kleine tragbare Klimaanlage nichts änderte, die sich vergeblich darum bemühte, das Innere des Zelts kühl zu halten. Das ist ja schon fast symbolisch, dachte Seagrove, als er Blackwood zum Planungstisch folgte, wo bereits der Urheber dieses Desasters stand und die Hände hinter dem Rücken verschränkte. Er strahlte Ungeduld aus.