Eintrag 18 - Genug Zeit für Krieg (Teil 1)
- In der Nähe von Istanbul, 29. Juni 2039
Die Reise durch Bulgarien verlief weitesgehend ruhig. Sokolovs Einfluss sicherte ihnen genug Zeit, um unbeschadet nach Istanbul zu gelangen. Jetzt stand die Stadt der Söldner in ihrer ganzen Pracht vor ihnen.
Seagrove war fasziniert von dem Kontrast zwischen der Armut der Vororte und dem Glanz der Skyline im Zentrum der Stadt, wo Millionen von Lichtern selbst die finsterste Nacht taghell erleuchteten, währen die Peripherie im Dunkeln versank.
So sieht sie aus, die Macht der Konzerne, dachte er, als er sich auf einen Stein neben seinen Panzer setzte, um den Sonnenaufgang zu bewundern. Die ersten scharlachroten Strahlen trafen auf die Glastürme und Goldkuppeln und es sah so aus, als würde ein riesiges Feuer am Horizont entfacht.
Es war ein atemberaubender Anblick, doch Seagrove hatte gerade andere Sorgen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie es überhaupt bis hierher geschafft haben. Zu verdanken hatten sie das seinen Führungsqualitäten und Sokolovs Kontakten, ab jetzt mussten sie sich jedoch auf Blackwood verlassen. Er sollte ihnen den Durchzug durch eine Stadt sichern, die von feindlich gesinnten Konzernen kontrolliert wurde. Direkte Gewaltanwendung innerhalb der Stadt war strikt tabu und die Metropole diente den schlimmsten Kriminellen als sichere Zuflucht. Blackwood und Sokolov sollten sicherstellen, dass man sie nicht als solche abstempelte, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.
Er sprang vor Schreck fast auf, als sich Sokolov lautlos neben ihn setzte, an seinem Kaffe nippte und beim Anblick von Seagroves perplexem Gesichtsausdruck grinste.
„Du solltest aufpassen, dass sich niemand von hinten an dich heranschleicht, mein Freund.“
Seagrove runzelte die Stirn.
„Ach, sind wir jetzt etwa Freunde?“
Sokolov grinste wieder.
„Nein. Das sagt man halt so.“
Sein Grinsen verschwand und er begann, sich die Taschen abzuklopfen. Endlich fand er eine halbvolle Schachtel Zigaretten. Seelenruhig zog er eine aus der Schachtel und zündete sie mit einem Feuerzeug an, das er ebenfalls aus dem Päckchen herausgefischt hatte. Die Luft wurde vom beißenden Geruch billiger Zigaretten erfüllt. Als ob er es vergessen hätte, bot Sokolov Seagrove die Packung an, doch der schüttelte nur den Kopf.
Beide Männer verstummten und betrachteten das Schauspiel am Horizont. Seagrove wandte sich schließlich an den anderen Mann.
„Warum?“
Sokolov hob überrascht seine Augenbrauen.
„Wie meinen?“
„Warum hast du dich Blackwood angeschlossen? Es war doch bestimmt nicht wegen des Gewinns?.“
Sokolov wandte sich ab und blickte zum Horizont, den Stummel glimmend in seinen Lippen. Seagrove machte sich daran, aufzustehen und zu gehen, als ihn Sokolov mit einer Handbewegung bedeutete, er solle bleiben. Als er zu reden begann, traf die Antwort Seagrove ziemlich unerwartet.
„Sag mir bitte: Was ist Geschichte?“
Seagrove runzelte die Stirn und wusste nicht recht, was er antworten sollte.
„Geschichte ist Geschichte. Alles, was jemals geschehen ist.“
Sokolov lächelte.
„Falsch. Es ist nur eine Sammlung von Geschichten, die von Menschen erzählt werden. Und es ist nun mal so, dass ich Geschichten mag. Ich bin dabei gewesen, als die Hellhounds gefallen sind und als die Remnants ihre Rache übten, bevor sie sich in den Osten zurückzogen. Alles gute Geschichten.“
„Aber was hat das alles mit uns zu tun?“
Sokolov rauchte seine Zigarette zu Ende, legte seinen Kopf in den Nacken und blies die letzte Rauchwolke hoch in den Himmel hinaus.
„Ich habe das Gefühl, dass eure Geschichte eine gute sein wird.“