News

Aufstieg und Untergang von Engesa

Engesa (Abkürzung für Engenheiros Especializados S/A) ist ein Beispiel dafür, dass selbst große und bekannte Unternehmen innerhalb kürzester Zeit von der Bildfläche verschwinden können. Während seiner Glanzzeit war Engesa der größte Hersteller von Rüstungsgütern der Welt. Doch nach den „Goldenen Zeiten“ kam es rasch zu Umsatzeinbußen von denen sich das Unternehmen nicht mehr erholen sollte, bis es schließlich Insolvenz anmelden musste. Was war geschehen?

Der Aufstieg...

Das Unternehmen wurde 1963 gegründet, um veraltete Militärfahrzeuge zu reparieren und modernisieren. Besonders wurde das Unternehmen für den Umbau herkömmlicher 6x4- und 6x2-Fahrzeuge in Fahrzeuge mit Allradantrieb, um ihre Einsatzfähigkeit in unwegsamen Gelände zu verbessern.

EE-11 Urutu

1970 begann der Rüstungsbetrieb mit der Entwicklung einer allradgetriebenen (6x6) Fahrzeugreihe. Darunter der Transportpanzer EE-11 Urutu, auf dem zwei Besatzungsmitglieder (Fahrer und Kommandant) sowie 12 Soldaten (oder eine entsprechend große Menge an Frachtgütern - die Sitze konnten hierzu zusammengeklappt werden) Platz fanden. Angetrieben wurde das Fahrzeug von einem 260 PS starken 6V-53T Detroit Dieselmotor. Darüber hinaus ist es schwimmfähig. Der Panzer war lediglich gegen Beschuss aus Kleinwaffen sowie gegen HE-Projektile geschützt, was für den angedachten Einsatzbereich und seine Gewichtsklasse jedoch vollkommen angemessen war. Insgesamt handelte es sich hierbei um ein sehr erfolgreiches Modell in verschiedenen Ausführungen, das mit einer Vielzahl verschiedener Waffensysteme bestückt werden kann, vom einfachen .50 Maschinengewehr bis hin zu 20 mm- sowie 25 mm-Maschinenkanonen. Es gab sogar eine Version für 90 mm-Feuerunterstützung. Von 1974 bis 1987 produziert wurde das Fahrzeug nicht nur in Brasilien, sondern auch in einer Reihe anderer Länder gerne und häufig eingesetzt (insgesamt wurden 700 geordert, die sich noch immer im Einsatz befinden), darunter vor allem Staaten in Südamerika und Afrika.

Beim EE-9 Cascavel (dt.: Klapperschlange), handelt es sich um ein weiteres Erfolgsmodell der Firma Engesa. Der Cascavel war, wenn auch dem Urutu sehr ähnlich, kein Schützenpanzer, sondern ein sechsrädriges und allradgetriebenes Feuerunterstützungsfahrzeug. Die gesamte Region (besonders Brasilien) ist für den kreativen Einsatz veralteter Technik bekannt. Daher ist es kein Wunder, dass in Brasilien zum Zeitpunkt der Einführung des Cascavel noch immer der von amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg eingesetzte M8 Greyhound im Einsatz war, den die Brasilianer zur Unterstützung ihrer Truppen im Kampf gegen Italien erhalten hatten. Der Cascavel sollte diese Relikte aus längst vergangenen Tagen ablösen. Anders als der Urutu verfügte der Cascavel zwar über eine stärkere Panzerung (16 mm Panzerstahl statt nur 12 mm wie der Urutu), konnte aber dennoch kaum stärkeren Geschossen standhalten. Hervorstechendes Merkmal des Cascavel war jedoch nicht die Panzerung, sondern seine Geschwindigkeit und Feuerkraft. Das ursprüngliche Modell, der Cascavel I, verfügte lediglich über eine 37 mm-Kanone, der Cascavel III war jedoch schon mit einer französischen 90 mm-Kanone D-921 ausgestattet. Dank dieser Bewaffnung konnte es der Cascavel mit einer breiten Palette an Zielen aufnehmen, einschließlich leichter Panzer. Die ultimative Bewaffnung kam mit Modell IV in Form einer EC-90 90 mm-Cockerill-Kanone. Wie der Urutu wurde auch der Engesa Cascavel nicht nur von der brasilianischen Armee eingesetzt (wo er nach wie vor in modernisierter Form Verwendung findet), sondern in eine Vielzahl anderer Länder exportiert. Die größten Order kamen dabei aus Libyen und dem Irak (nur wenige der Fahrzeuge haben die dortigen Konflikte bis heute überlebt).

EE-9 Cascavel

Der Erfolg dieser beiden Fahrzeuge und ihrer Varianten ließ die Umsätze von Engesa in die Höhe schnellen. Die Brasilianer kamen zu demselben Schluss wie die Südafrikaner, nämlich dass es einen großen Markt für relativ kostengünstige, aber effiziente Panzer mit solider Feuerkraft und Manövrierfähigkeit gab.

Engesas drittes interessantes Projekt war der EE-3 Jararaca (benannt nach einer in Brasilien heimischen Otternart). Dabei handelte es sich um einen sehr leichten allradangetriebenen (4x4) Spähpanzer. Der EE-3 Jararaca wurde mehrere Jahre nach den vorgenannten Modellen (in den späten Siebzigern) entwickelt, da sich herausstellte, dass der Cascavel für Aufklärungsmissionen zu schwer und viel zu stark bewaffnet war. Die Armee brauchte etwas von der Größe eines Jeeps, das aber zudem gepanzert war. Das Ergebnis war ein leicht gepanzertes Fahrzeug von 6 Tonnen, das nur Schutz gegenüber Kleinfeuerwaffen bot und nur mit sehr leichten Geschützen ausgestattet war. In der Standardausführung war dieses Modell mit .50 Maschinengewehren sowie 20 mm-Maschinenkanonen ausgestattet, es gibt aber auch Varianten mit ferngelekten Panzerabwehrraketen. Die Serienfertigung des Jararacas begann in den 1980er Jahren, nachdem man ihn einer mehreren genauen Prüfungen unterzogen hatte, entschied sich die brasilianische Armee jedoch gegen einen Einsatz des Fahrzeugs. Bei Engesa war man darüber nicht zu sehr beunruhigt, war der Jararaca doch eine ebenso beliebte Exportware, wie die anderen beiden Modelle. In den Siebzigern und Achtzigern kaufte die brasilianische Armee bei Engesa rund 1300 gepanzerte Fahrzeuge, weitere 2000 wurden in andere Länder, darunter besonders arabische und afrikanische Staaten (Libyen, Tunesien und der Irak waren die größten Abnehmer). In nicht einmal einem Jahrzehnt wurde aus einem kleinen Unternehmen ein weltweit renommierter Rüstungsbetrieb

EE-3 Jararaca

Neue Modelle...

Dieser ungeheure Erfolg inspirierte die Köpfe von Engesa natürlich, sich an weitere interessante Modelle zu wagen, in der Hoffnung, diese ebenfalls auf den Exportmarkt bringen zu können. Während der Cascavel zwar über ausreichend Feuerkraft verfügte, war er weit davon entfernt, als Panzerzerstörer eingesetzt werden zu können. Daher entwickelte Engesa den EE-17 Sucuri, einen Rad-Jagdpanzer, der mit einer französischen 105 mm-Maschinenkanone und einem Wiegeturm ausgestattet war, einer Kombination, die sich besonders gut für die Verwendung am Leichtpanzer AMX-13 eignete. Im Rahmen des Projekts wurde der EE-18 Sucuri (auch bekannt als Sucuri II) mit einer italienischen OTO Melara 105 mm-Kanone mit gezogenem Lauf ausgestattet, die für Standardmunition der NATO geeignet war. In dieser Zeit wurde auch der EE-T4 Ogum entwickelt, ein leichtes Kettenfahrzeug mit einer Vielzahl an Bewaffnungsmöglichkeiten. Beide, sowohl der Sucuri als auch der Ogum, wurden Mitte der achtziger Jahre bis in die frühen Neunziger weithin angepriesen. Einigen Rüstungsunternehmen standen jedoch schwere Zeiten bevor, da der Markt mit Rüstungsgütern aus Russland überflutet wurde, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in großer Zahl erhältlich waren. Die alten sowjetischen Fahrzeuge waren häufig nicht so gut, wie die anderen Produkte vergleichbarer Bauart, sie waren aber äußerst billig, was auch Engesa zu spüren bekam. EE-18 Sucuri II

...und der Untergang

Seine Talfahrt verdankte das Unternehmen jedoch nicht nur den sowjetischen Rüstungsgütern, sondern auch einem äußerst ehrgeizigen Projekt: dem Osório Kampfpanzer. Dabei handelte es sich um das bislang aufwändigste Projekt der Unternehmensgeschichte. Glaubt man den Aussagen einiger Zeitgenossen, war es sogar zu aufwändig. Doch Engesa ging es gut, die Exporte förderten in den frühen Achtzigern genug Geld in die Kasse und der Zusammenbruch der Sowjetunion war nur ein frommer Wunsch von Vielen - was sollte schon schief gehen?

Hauptgrund für die Überlegung, diesen Panzer zu entwickeln, war die (korrekte) Annahme, dass Drittweltländer etwas brauchten, das robuster und (vor allem) billiger war, als das, was die westliche Welt hervorbrachte. Westliche Panzer waren zu komplex, schwer und teuer. Etwas kleineres und einfacheres, was aber noch in die Kategorie der Kampfpanzer passte, konnte zum Erfolg werden.

Die Entwicklung des Panzers war ein nervenaufreibender Prozess, doch 1985 wurde der erste Prototyp schließlich in Saudi Arabien vorgestellt. Es handelte sich dabei um einen sehr konventionellen Panzer, der mit einer zuverlässigen Royal Ordnance L7A3 105 mm-Kanone ausgestattet war. Der zweite Prototyp verfügte hingegen über eine GIAT 120 mm-Glattrohrkanone. Dank seiner Anpassbarkeit konnten je nach Kundenwunsch verschiedene Systeme, einschließlich einer breiten Palette an Feuerkontrollsystemen, Feuerleitrechnern und anderen modernen Geräten, implementiert werden. Trotz der großangelegten Werbekampagne fanden sich keine Käufer für den Panzer - nicht einmal die brasilianische Armee interessierte sich dafür. Das Projekt stellte sich als kolossaler Reinfall heraus.

EE-T1 Osório

Doch das war nicht der einzige Grund, der andere waren die besondere Marktabhängigkeit. Engesa war nie Vorreiter oder Wegbereiter. Das Unternehmen setzte stets auf bewährte Lösungen und Module (die einzige wirklich interessante Idee war eine zweilagige Stahlpanzerung, ein Versuch, den Schutz zu erhöhen, ohne das Gewicht nennenswert zu erhöhen). Engesas Ziel war es, mithilfe von Exportverträgen so viel Geld wie möglich zu generieren. Aus diesem Grund konzentrierte man sich hauptsächlich darauf, Fahrzeuge mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis im Hinblick auf Feuerkraft zu produzieren. Gestützt wurden die Exporte zumeist von Südamerikanischen Armeen, die ihre völlig veralteten Fahrzeuge (einige Armeen setzten selbst in den frühen Siebzigern noch Fahrzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg ein) ersetzen mussten, sowie einige afrikanische Staaten, wie Iran und Irak. Der Konflikt zwischen Iran und Irak trieb die Produktion in der Rüstungsindustrie an, brauchten doch beide Seiten ständig neue und vor allem günstige Fahrzeuge. Andere Länder der Region stockten hingegen vorbeugend ihre Waffenvorräte auf - nur für den Fall, dass sich der Krieg auch auf die Nachbarländer ausweiten würde. Die Modelle Osório und Ogum wurden speziell auf die Anforderungen dieser Region angepasst, doch 1991 sollte sich alles ändern.

Der Golfkrieg bedeutete zweierlei: Einerseits den Verlust des irakischen Markts (als einer der größten Kunden von Engesa verlor man Verträge im Wert von 200 Millionen Dollar und damit etwa zwei Jahreseinkommen) aufgrund des amerikanischen Embargos sowie den Verlust anderer Märkte in der Region, da sich die mit den USA verbündeten Länder zurückzogen. Ein solches Bündnis führte dazu, dass man qualitativ hochwertige amerikanische Rüstungsgüter zu günstigen Preisen kaufen konnte - damit konnten die Brasilianer nicht mithalten.

Darüber hinaus wurde der Markt zu jener Zeit mit veralteten Rüstungsgütern der NATO und der Sowjetunion geradezu überschwemmt. Die zu diesem Zeitpunkt relativ modernen Fahrzeuge wurden häufig zum Schrottpreis angeboten. Engesa hatte mehr als 100 Millionen Dollar in die Entwicklung des Osório gesteckt, dieses Geld war unwiederbringlich verloren. Das Zusammenspiel aus diesen Faktoren brachte das Unternehmen in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten und führte schließlich 1993 zur Insolvenz. Die meisten Vermögenswerte, einschließlich des Betriebsgeländes in Brasilien, wurden verkauft. Damit schloss sich das letzte Kapitel eines Unternehmens, das einst als einer der größten Hersteller militärischer Radfahrzeuge der Welt bekannt war.

Nach oben

Sei dabei!