Eintrag 39 - Amerikanischer Boden
- Jacksonville, Florida, 20. November 2039
Die ersten Stunden, die sie auf amerikanischem Boden verbrachten, waren wie ein Wunder. Nur wenige von ihnen hatten je zuvor einen Fuss auf echte Badlands gesetzt. Für sie war es ein Mythos und Mythen können verschiedene Gestalten annehmen. Die Gestalt einer Tragödie, mit den meisterhaften Pinseln der Propaganda von Clayburn Industries gezeichnet, die den Schrecken von Krankheit, Hunger und Krieg in lebendigsten Farben beschreibt, wie es nur professionelle Lügner können.
Für Andere bestand der Mythos aus legendären Helden, die die Armen vor dem Bösen in Form der Konzerne beschützten - standhaft und unerbitterlich, niemals zweifelnd, selbst wenn sie mit der totalen Auslöschung durch die Hände ihrer um Längen machtvolleren Feinde konfrontiert wurden.
Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Nachdem die Realität die dicken Schichten von Missverständnis und Vorurteil weggewaschen hatte, fanden die Seahawks Jacksonville ziemlich gewöhnlich. Die Tage der High-Tech-Geräte, die in den von Mauern umgebenen Clayburn-Lagern so beliebt sind, waren vorbei. Die Straßen waren verwahrlost trotz der sichtbaren Bemühungen der Einheimischen, ihnen ihr früheres Aussehens zurückzugeben. Aber trotz des jahrelangen Verfalls brodelte die Stadt vor Leben.
Die Seahawks hatten plötzlich Zugang zu nahezu allen Arten von Dienstleistungen und Gegenständen. Einige - wie Privatautos - waren nur für hochrangige Offiziere, andere waren innerhalb der vom Konzern kontrollierten Gebiete komplett illegal. Tausende von Gerüchen erfüllten die Luft. Vom Essen, das im Freien zubereitet wurde bis zu den Abgasen der uralten Schrottkisten, die durch die Strassen fuhren, als sei die Welt in eine andere Zeit zurückgefallen und würde nun nur auf die Technologie zurückgreifen, die der Prüfung der Zeit standgehalten hatte. Der elektrische Wahnsinn der 2020er rostete in riesigen Haufen hinter den Städten vor sich hin, die toxischen Flüssigkeiten ihrer seit langem kaputten Batterien verseuchten den Boden für die kommenden Jahrhunderte.
Treibstoff, das Lebenselixier dieser neuen Welt, floss aus dem Süden, um den immensen Hunger der verbliebenen amerikanischen Industrie zu stillen. Nur wenige in Jacksonville würden es offen zugeben, aber es war dieser Strom, der die Stadt am Leben hielt, verbunden in einer ewigen Symbiose mit den "Unterdrückern der Regierung".
Aber was die Seahawks am meisten beeindruckte, war die Freiheit. Keine Kameras überall, kein aufmerksamer Blick gesichtsloser Drohnen, die jede deiner Bewegungen analysieren, kein Auswerten deiner persönlichen Daten, um sicherzustellen, dass deine Cholesterinwerte einen bestimmten, vom kaltblütigen Gehirn einer künstlichen Intelligenz tief in den Gewölben eines ehemaligen Militärbunkers festgelegten Wert nicht überschreiten. Stattdessen ein einfaches florierendes Geschäft, das zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist.
Aber die Wahrheit war, dass die Vereinigten Staaten sich in unzähligen Kleinigkeiten von Europa unterschieden, die bei den Seahawks, die nicht hier geboren waren, ein ungutes Gefühl hinterliessen. Bekannte Dinge hatten falsche Formen und bekannte Formen gehörten zu den falschen Dingen. Diese Myriade von unbekannten Dingen erinnerte die Männer und Frauen der Einheit an das surreale Gefühl, das sie so gut aus ihrer Zeit in Afrika kannten. Zum Glück hatten sie wenig Zeit, deswegen Trübsal zu blasen, da die Kommandanten der Einheit mit Blackwood an der Spitze sie mit der Anwerbung neuer Leute beschäftigt hielten. Gegen Ende der Woche hatten die Seahawks fast alle Bars und andere Plätze, die dafür bekannt waren, dass sie von den Fighting Falcon Söldnern besucht werden, abgeklappert. Sie boten ihre kläglichen verbliebenen Ressourcen gegen Dienste an. Für einige heimische bewaffnete Einheiten waren die Seahawks eine willkommene Ablenkung von der zermürbenden Langeweile einer Waffenruhe mit den Pro-Regierungseinheiten, die das Gebiet im Westen kontrollierten. Andere machten aus reiner Abenteuerlust mit. Aber fast alle einheimischen Truppen beäugten die Seahawks mit Misstrauen, da sie von ihrer Konzernvergangenheit und ihren Taten im Sinai wussten. Als die Seahawks abreisten, waren ihre Ränge nur durch ein Dutzend Männer verstärkt, die zusammenklebten und sich nicht mit der alten Besatzung mischen wollten.
Die Suche nach Ersatzfahrzeugen war noch eine andere Sache. Jacksonville war ein Handelszentrum und der Krieg mit der Regierung liess die Södner mit mehr Material zurück, als sie jemals in einem Leben benutzen konnten. Reihenweise Panzerfahrzeuge waren außerhalb der Stadt geparkt, Berge von Ersatzteilen lagen herum und Gallonen voller Treibstoff warteten auf ihre zukünftigen Besitzer. Es waren keine Sachen erster Wahl - die besten Teile hatten sich die Flying Falcons schon unter den Nagel gerissen - aber gut genug für den letzten Teil der Reise der Seahawks. Und zum Glück waren die Händler auch bereit, an die Seahawks zu verkaufen, da diese im Norden der Stadt patroullierten und geholfen hatten, einen Angriff abzuwehren...