Wenn die Rede von mechanisierter Kriegsführung und dem taktischen Kampf mit Panzerfahrzeugen ist, dann stellen sich die meisten Leute Zusammenstöße stählerner Monster vor, bei denen hunderte von Kampfmaschinen gegeneinander kämpfen. Diese von Kriegsfilmen und so manch einem historischen Ereignis aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs inspirierte Vorstellung mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen, weicht jedoch erheblich von der Realität der Schlachten ab. Massive Panzerschlachten dieser Art waren eher die Ausnahme und wenn man von der kompletten Zerstörung der irakischen Panzerverbände durch die überragenden amerikanischen Kräfte absieht, dann haben nach dem Yom-Kippur-Krieg von 1973 und den Indisch-Pakistanischen-Krieg praktisch keine massiven Panzerschlachten mehr stattgefunden.
Panzer und ihre Bestimmung
Panzer wurden ursprünglich nicht dafür konzipiert, gegen andere Panzer zu kämpfen. Sie sollten eher den Kampf gegen die im Zweiten Weltkrieg kriegsbestimmenden Kräfte dominieren, also überwiegend die Infanterie, die Artillerie (einschließlich Panzerabwehrkanonen), LKWs und Truppentransporter, sowie - falls es dazu kommen sollte - gegnerische Panzer. Während Panzer seitdem zu einem wichtigen Faktor auf dem Schlachtfeld geworden sind, führte die Entwicklung von Panzerabwehrraketen und moderner Munition zu einer Diskussion über den praktischen Nutzen des Panzerkonzepts an sich - besonders in den 1990er und 2000er Jahren, als die Bedrohung des Westens durch massive Panzerkräfte durch den Zusammenbruch der UdSSR entfiel.
Panzer-Friedhof in Kharkov, Foto von Urbanghostmedia
Doch das Wettrüsten lief weiter, vor allem westliche Panzer wurden zusehends größer und schwerer, was sie schon bald mit ähnlichen Problemen kämpfen ließ, wie ihre Vorgänger in den 1940er Jahren. Der Krieg gegen den Terrorismus änderte die politische und kriegstaktische Landschaft dahingehend, dass der Feind jetzt nicht aus einer massiven Armee wie der sowjetischen bestand, sondern aus kleinen (bisweilen gut ausgerüsteten) Gruppen von Kämpfern, die zwar nur selten über eigene Panzer verfügten, dafür aber mit manuell bedienten Antipanzerwaffen ausgerüstet waren. Plötzlich mussten Panzer auch gegen diese Art von Gefahr gewappnet sein (also überwiegend HEAT-Geschosse), was ihr Gewicht noch weiter erhöhte. Was die Sache noch erschwerte, war die Tatsache, dass terroristische Gruppen oft in urbaner Umgebung kämpfen und Städte bekanntlich der schlechteste Ort für einen Panzerkampf sind, weil die Infanterie die Fahrzeuge aus allen möglich Winkeln angreifen kann. Der gescheiterte russische Angriff auf Grosny ist ein Paradebeispiel dafür, was passieren kann, wenn eine Panzerbrigade ohne Unterstützung eine Stadt angreift.
Weil Panzer bei antiterroristischen Aktionen weitgehend nutzlos sind, konnte sich noch in den frühen 2010er Jahren niemand vorstellen, dass es jemals wieder Konflikte mit größeren Panzerschlachten geben würde. Und doch muss man sich Ende 2015 eingestehen, dass es aktuell drei Brandherde auf der Welt mit genau dieser Charakteristik gibt, nämlich in der Ukraine, in Syrien und im Jemen.
Gelernte Lektionen
Eine der interessantesten öffentlich zugänglichen Abhandlungen zur Entwicklung der modernen Kriegsführung stammt von Dr. Phillip A. Karber. Wiewohl sich das Werk mit der Entwicklung der Kriegsführung im Allgemeinen beschäftigt, widmen sich einige Kapitel explizit auch der mechanisierten Sparte. Karber nutzt den Krieg in der Ukraine zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen, die ohne Weiteres auf ähnliche Konflikte übertragen werden können.
Am Beispiel der Ukraine wird gezeigt, wie sich aus lokalen Konflikten hybride Stellvertreterkriege unter Beteiligung verschiedener paramilitärischer Gruppen entwickeln. Stellvertreterkriege sind keine Neuheit und tragen selten dazu bei, große taktische Änderungen oder historische Einschnitte in der Geschichte der Kriegsführung anzustoßen. Eine der wenigen Ausnahmen bildet der Jom-Kippur-Krieg, der ganze bis dahin gültige Vorstellungen zum Ablauf von militärischen Konflikten auf den Kopf stellte.
Ukrainischer T-64BM Bulat auf einer Parade
Was Panzerfahrzeuge anbelangt, wird der Krieg in der Ukraine hauptsächlich mit Ausrüstung aus der Sowjetzeit geführt (darunter die Kampfpanzer T-64 und T-72, BMP-Fahrzeuge und weitere Plattformen), wenn auch ein Element (und Daseinsgrund) der Stellvertreterkriege präsent ist - das Testen modernster Kriegstechnik. Dr. Karber definiert vier Elemente dieser neuen Art von Konflikt:
- Weitverbreiteter Einsatz unbemannter Drohnen
- Gesteigerte Gefahr durch indirektes Feuer (Artillerie)
- Weitreichende Wechselwirkung zwischen Panzerabwehr-Lenkflugkörpern und Panzerentwicklung
- Rückgang von BMP-Fahrzeugen und anderen leichten Panzerwagen
Der erste Punkt spielt zwar nur eine geringe Rolle bei den essentiellen Veränderungen im Wesen der mechanisierten Kriegsführung, hat aber großen Einfluss auf die Aufklärungsfähigkeiten einzelner Verbände. Aufklärungsdrohnen haben die Notwendigkeit von Aufklärungsmissionen am Boden oder mit bemannten Flugzeugen ersetzt und erheblich die Letalität durch indirektes Feuer erhöht, dass dank hochwertiger Daten sehr präzise geworden ist. Gleichzeitig ist der Einsatz von Drohnen gegen mobile Einheiten wegen der Zeitverzögerung zwischen Drohnen und Artillerieeinheiten nur bedingt möglich, was uns zu dem zweiten Punkt bringt.
Im Vergleich zu früheren Konflikten und westlichen Vorhersagen ist die Letalität von Artilleriefeuer vor allem durch den weitverbreiteten Einsatz von Streumunition drastisch gestiegen. Artilleriefeuer ist mittlerweile für ca. 85 % aller Toten verantwortlich. Dieser Trend ist auch in anderen Konfliktzonen zu beobachten, gleichwohl syrische oder jemenitische Verbände selten über moderne MLRS-Munition verfügen. Der massive Anstieg von Artilleriefeuer hat verheerende Auswirkungen auf mechanisierte Verbände und den Ausmaß an menschlichen Verlusten - in einem Fall wurden zwei ganze Bataillone in weniger als drei Minuten vernichtet.
BM-21 Grad Raketenfeuer in der Ukruaine, Foto von abc.net.au
Eine weitere interessante Tatsache ist der effektive Einsatz antiquierter Artillerieeinheiten, vor allem der 122 mm 2S1 Gvosdika, wobei in Syrien stellenweise sogar 105 mm LeFH 18 Haubitzen aus dem Zweiten Weltkrieg verwendet wurden. Vor allem die Gvosdika wurde in einer ungewohnten Rolle eingesetzt, nämlich als selbstfahrendes Antipanzergeschütz und direkt angreifende Haubitze, was sie in beiden Fällen zufriedenstellend meisterte. Ihre 122-mm-Geschosse sind in der Lage, Panzerung zu zerfetzen und teilweise ganze Geschütztürme von aktiven Panzern zu schmettern. Auf der anderen Seite fehlte es der Gvosdika selbst an adäquatem Schutz, was sich in einer großen Verlustrate niederschlägt.
Ukrainische Gvozdikas beim Rückzug nach einem Feuerwechsel
Die Verwendung von Panzern aus der Sowjetära ist eine Gemeinsamkeit der Konflikte in der Ukraine und in Syrien. In den meisten Fällen wurde der Kampfwert dieser Fahrzeuge gesteigert. Der überwiegende Teil ist mit ERA-Systemen ausgerüstet. Diese Systeme sind effektiv gegen Panzerabwehrlenkwaffen mit Einzelsprengköpfen und reaktive Panzerbüchsen. Natürlich können auch diese Systeme überlistet werden, bislang jedoch sind die dazu nötigen ATGM mit Tandem-Sprengköpfen noch nicht weit verbreitet (auch wenn die syrische Armee die meisten ihrer Verluste durch den Einsatz amerikanischer TOW-Systeme erlitten hat). Dies hat (im Falle der Ukraine) zweierlei zur Folge:
- Eine mit Einzelsprengköpfen ausgerüstete Infanterie ist anfällig für Panzerangriffe
- Die panzervernichtende Waffe der Wahl ist wieder einmal die 125-mm-Glattrohr
Sobald ein Panzer über zeitgemäße Defensivqualitäten verfügt, wie die meisten der an den genannten Konflikten teilnehmenden modernen Fahrzeuge von der Art des T-72B3, findet er sich in der Rolle wieder, die den Panzern ursprünglich zugedacht wurde - als dominierendes Raubtier auf dem Schlachtfeld.
T-72B3
Die Tatsache, dass moderne (westliche und russische) Fahrzeuge der alten Sowjettechnik weit überlegen sind, wurde bereits mehrfach bewiesen (allem voran im Irak), doch auch der Unterschied zwischen der Upgrade-Variante eines Fahrzeugs und seiner Standardversion kann einen entscheidenden Unterschied ausmachen. Empirische Daten belegen, dass die Vernichtungsrate zwischen vergleichbaren Modellen 1:1 beträgt, bei modernisierten Versionen des T-72 jedoch auf drastisch auf 1:3 steigt (für jeden Kill eines modernisierten Fahrzeugs gehen 3 Standardmodelle drauf). Das andere Extrem bildet der Einsatz hochmoderner westlicher Panzer durch saudische Streitkräfte im Jemen, die bei ihren Abrams- und Leclerc-Panzern hohe Verluste zu verzeichnen hatten. Ob diese Verluste durch schwache Taktik oder schlechtes Training bedingt sind, wird immer noch heiß diskutiert.
Die jüngsten Erfahrungen (dazu zählen auch die hohen Verluste an Panzern auf allen Seiten des Syrienkonflikts) brachten eine Reihe innovativer Projekte auf den Weg. So wurden etwa in Syrien Metallgegenstände auf Panzer montiert (Stäbe, Gitter, Sprossen usw.), um eine Art improvisierte Gitterpanzerung zu kreieren. Wie gut diese „Upgrades“ funktionieren, muss jeder selbst entscheiden (auch wenn diese improvisierte Gitterpanzerung laut Beobachtern zumindest gegen RPG-7 und RPG-26 wirksam ist). Auf der ukrainischen Seite wurden mehrere schwere Schützenpanzer entworfen, darunter ein superschweres Modell namens Azovets auf dem Fahrwerk des T-64 und der imposante BMP-64 des Konstruktionsbüros Morozov aus Charkiw. Beide besitzen exzellente Schutzeigenschaften und bei beiden ist fraglich, ob sie jemals in Serienproduktion gehen werden.
"Azovets" heavy IFV
Und während das Hauptmerkmal der neuen Fahrzeuge ihre exzellente Panzerung zu sein scheint, ist einer der aktuell am meisten eingesetzten Schützenpanzer auch einer der am wenigsten gepanzerte, nämlich der BMP und seine Varianten.
Die altehrwürdige BMP-Fahrzeugserie ist eine Ikone der sowjetischen Panzermacht und wurde mit unterschiedlichem Erfolg bereits in unzähligen Konflikten eingesetzt. Das hybride Wesen moderner Kriege fordert von dieser Fahrzeugklasse einen hohen Tribut. Der BMP fördert Feuerkraft und Geschwindigkeit auf Kosten der Panzerung und der großflächige Einsatz mächtiger 30-mm-Maschinenkanonen und präziser Artillerieschläge hat die eh schon niedrige Überlebensrate dieses Fahrzeugtyps nochmals drastisch gesenkt. Selbst die äußerst populären 23-mm-Doppelgeschütze, die auf Türmen und Pick-Ups montiert werden, können die BMP-Panzerung durchschlagen.
Die Fahrzeuge sind unzulänglich gegen thermobarische Sprengköpfe und kleinkalibrige Artilleriegeschosse gerüstet. Ein Treffer resultiert fast immer in verheerenden Zerstörungen und dem Tod aller Besatzungsmitglieder und Infanteristen im Innenraum, weshalb die Fahrzeuge bei Beschuss meistens evakuiert werden, was den Mobilitätsvorsprung des Modells nichtig macht. Hohe Verluste an Fahrzeugen dieses Typs haben manche zu de Erkenntnis geführt, dass die Zukunft von SPz in der schweren Kategorie liegt - oder bei Modellen, die in der Lage sind, flächendeckende ERA- bzw. Gitterpanzerung zu tragen.
Schlussfolgerung
Aktuelle Konfliktherde haben uns gezeigt, dass schwer gepanzerte Fahrzeuge ihren Platz auf dem Schlachtfeld behaupten, und zwar ungeachtet der von moderner Antipanzerwaffen ausgehenden Gefahr. Die Ära der Panzer ist längst nicht vorbei. Die jüngst vorgestellten russischen Kampfpanzer der nächsten Generation haben einen neuen Wettlauf um Entwicklungen und Upgrades der Panzertechnik angefacht, momentan werden modernisierte Leopard 2 und Abramsmodelle entwickelt.