Wenn Riesen aufeinanderprallen, verliert niemand einen Gedanken an das Schicksal der Ameisen – ging ihm durch den Kopf, als er durch die Überbleibsel eines abgebrannten Dorfes schritt. Aus manchen Hausruinen stieg noch Rauch empor und ihre verformten Mauern zeugten von dem Inferno, das vor einigen Stunden über sie hereinbrach. Der Boden war übersät mit Geschosshülsen, von den Körpern der Angreifer und Verteidiger fehlte jedoch jede Spur. Nur die Leichen der ins Kreuzfeuer geratenen Dorfbewohner lagen in der Gegend verstreut, deren Körper durchsiebt von Kugeln oder bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.
Vujic machte Platz für drei Panzer der Tihina-Division , die sich ihren Weg zwischen die Häusern bahnten und mit lautem Getöse und kreischenden Motoren den widrigen Umständen trotzen. Selbst die Motoren hörten sich müde an, dachte Vujic. Als Tangra, Asparuk und Kuche Mazno an ihm vorbeifuhren, heftete er seinen Blick auf ihre bemalten Wannen – die einzigen bunten Flecke in diesem farblosen Land. Er schüttelte den Kopf – warum in aller Welt wollte jemand seinen Panzer noch sichtbarer machen? Aber die Tihina war keine reguläre Armee und eine der wichtigsten Lektionen, die er in den letzten Jahren gelernt hatte, war zu wissen, wann man Regeln durchsetzen und wann sein Auge zudrücken sollte.
Er ging in Gedanken versunken weiter und stolperte über eine Leiche, die er zunächst nicht bemerkt hatte. Er blieb einige Schritte weiter stehen und schloss seine Augen. Irgendwie konnte er sich nicht dazu bringen, zurückzublicken. Er fürchtete sich – nicht vor den Toten, sondern vor seiner eigenen Gleichgültigkeit gegenüber solchen grausamen Bildern. Das kann nicht richtig sein, dachte er. Ein Mann sollte angesichts solcher Schrecken etwas fühlen, wenigstens gerechte Wut auf diejenigen, die seine geliebte Heimat in Schutt und Asche verwandelt hatten. Alles, nur nicht Gleichgültigkeit.
Er ging weiter, ohne zurückzublicken und sagte sich, wie so oft, dass solche Dinge eben zum Krieg dazugehören. Weil es mittlerweile eben weit mehr war, als ein Aufstand, darüber konnte es keine Zweifel geben. Es war ein regelrechter Krieg, mit allen dazugehörigen Albträumen.
Er überquerte den von Panzerketten zerfahrenen Pfad und ging zu der Klippe, die einen Ausblick über das ganze Tal bot. Unter ihm erwachte ein großes Militärlager zum Leben. Hunderte von Männern und dutzende gepanzerte Fahrzeuge, die alle auf sein Kommando warteten. Vujic wunderte sich oft, wie das passieren konnte, dass er, ein einfacher Elektriker und unbedeutender Guerillakrieger zu einem der mächtigsten Männer des Kontinents aufsteigen konnte, in dem die einen einen Erlöser sahen, die anderen aber einen Abgesandten der Hölle. Für die Leute da unten symbolisierte er die Hoffnung. Den Konzernen war er ein Dorn im Auge und ein Hassobjekt ihrer Propaganda.
Er selbst hielt sich für keinen von beiden, sondern dachte an sich als an jemanden, der zu viel gesehen hat. Der Felsen unter seinen Füßen war mit Eis bedeckt und er hatte plötzlich das Gefühl, zu fallen. Der unerwartete Schwindel schärfte seine Sinne. Er blickte auf die verbrannten Ruinen und fühlte wieder den alten Zorn in sich aufsteigen. Er würde ihn füttern, sagte er sich, ihn schüren und in einen Feuersturm verwandeln, der alle Schuldigen für dieses Verbrechen verschlingen würde.
Hajduken-Miliz
Man kann die Balkanregion auf vielerlei Art und Weise beschreiben. Die Leute hier sind immer schon stolz und unabhängig gewesen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich nach dem Kollaps von 2038 und der anschließend Machtergreifung der gierigen Konzerne eine Widerstandsbewegung in dieser Region formierte.
Ungeachtet der Lektionen aus der Vergangenheit versuchten mehrere Konzerne, den Leuten ihren Willen aufzuzwingen, was allerdings nur erbitterten Widerstand nach sich zog, der eine tödliche Spirale in Gang brachte. Was mit Protesten gegen die Machtübernahme durch Clayburn Industries begann, mündete bald in Ausschreitungen und entwickelte sich schließlich in einen großangelegten bewaffneten Konflikt, der im Hintergrund durch rivalisierende Fraktionen befeuert wurde.
Die größte dieser Fraktionen stellten die Hajduken, die sich nach den mythischen Gesetzeslosen und Freischärlern der balkanischen Halbinsel nannten. Sie stellten sich gegen jede Art von Kontrolle durch kapitalträchtige Konzerne und vertraten die Meinung, dass es besser wäre, arm und frei zu sein, als ein wohlgenährter Sklave. Anders als der Großteil der kleinen Fraktionen, die sich Clayburns Rivalen anschlossen, verweigerten die Hajduken jede Art von Kooperation und behandelten jeden Verbündeten der Konzerne als ihren Gegner.
Diese Einstellung zog viele ähnlich denkende Männer und Frauen aus ganz Osteuropa an, sodass die Hajduken in wenigen Monaten von einer schlecht trainierten Miliz zu einer massiven Guerilla-Streitmacht heranwuchsen, mit eigener Panzerflotte und einem regen Zulauf von Rebellen, Kriminellen und Söldnern. Die Miliz wuchs mit jeder Ungerechtigkeit und jeder grausamen Tat, die seitens der Konzerne verübt wurde.
Im Frühjahr 2039 bestand der Kern der Hajduken-Miliz aus serbischen, kroatischen und bosnischen Veteranen des Guerillakampfes, die sich gegen die Willkür der Konzerne vereinten und mit der besten Technik ausrüsteten, die es für das bei Überfällen auf Firmenkonvois und in anderen illegalen Aktivitäten erbeutete Geld zu kaufen gab. Unterstützt wurden sie von Söldnern der bulgarischen Tihina-Division und den übriggebliebenen Mitgliedern lokaler Milizen aus Österreich, Bayern und Westböhmen. Und während mache von ihnen kämpften, um schnelles Geld zu machen, andere wiederum aus Rache in den Kampf zogen, machten sie die Hajduken zu einem ernstzunehmenden Gegner.