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Eintrag 1 – Mein Tagebuch

  • Auf dem Weg nach Chicago, Sommer 2028

Die Menschheit ist über ihre Götter hinausgewachsen und hat sie hinter sich gelassen. Nicht getötet, wohlgemerkt, solche törichten Ideen können nur auf unserer Überheblichkeit zurückgeführt werden. Einen Gott zu töten bedeutet, eine Idee, ja ein ganzes Konzept der eigenen Existenz zu töten – und meines Wissens hat das noch nie jemand getan. Nein, sie sind immer noch da und bewegen sich in ihrem gemächlichen Tempo wie majestätische Gletscher durch das Auf und Ab der Zeit. Und eines Tages werden sie die Initiative ergreifen. Oder sie haben es schon getan und lauern bereits im Schatten, jetzt, wo die Welt langsam auf den Rand des Ruins zusteuert. Obwohl, nein ... Lauern ist nicht das richtige Wort. Sie feuern uns an, unserem Drang zur Selbstzerstörung nachzugeben. Ihre Domäne beginnt dort, wo unser Wohlstand endet, so viel ist klar. Wie heißt es schließlich in dem alten Aphorismus:

„In Schützengräben gibt es keine Atheisten.“

Ich war in meinem Leben schon in vielen realen und sprichwörtlichen Schützengräben und habe in den letzten Tagen Dinge gesehen, die mich zutiefst erschüttert haben. Deshalb habe ich begonnen, dieses Tagebuch zu schreiben und werde dabei so oft wie möglich Sicherungskopien anfertigen, die niemand ohne mein Wollen finden wird – nicht einmal Ferguson, all ihrer Fähigkeiten zum Trotz. Das Internet ist eine wunderbare Sache – unendliche Datenredundanz, zum Greifen nah. Heißt es jedenfalls.

Es heißt aber auch, dass in der Welt der Einsen und Nullen nichts wirklich verloren geht, egal wie sehr man sich das Gegenteil wünscht. Um ehrlich zu sein, wusste ich darüber nur wenig zu sagen, falls an dieser Aussage aber etwas dran sein sollte, würde ich sie bis zum Äußersten testen. Wenn ich es mir recht überlege, stehen die Chancen für uns definitiv schlecht. Sollte mich dieser Bericht überleben, möge er als Warnung dafür dienen, was passiert, wenn der Mensch sich mit unergründlichen Kräften anlegt.

Ich denke, ich sollte mit mir selbst beginnen, damit jeder, der das liest, weiß, mit wem er es zu tun hat. Mein Name ist Samuel Thorpe, ehemals U.S. Army, vor kurzem noch Perihelion. Es ist wirklich seltsam, über sich selbst zu schreiben, es fühlt sich irgendwie ... falsch an, also bleibe ich bei den Fakten. Geboren am 12. Dezember 1997 in New York City, direkt im Schatten der Zwillingstürme – so jedenfalls die Legende. Abgesehen von einem wiederkehrenden Alptraum habe ich kaum Erinnerungen an meine Eltern, aber ich nehme an, dass ich wie viele New Yorker eine glückliche Kindheit im Big Apple hatte, die jäh durch einen Aufstand endete, bei dem auch meine Eltern getötet wurden.

Nach allem, was ich darüber weiß – völlig sinnlose Tode. Ich kenne die Aufnahmen: Menschenmengen, die ihren Unmut über die eine oder andere vermeintliche Ungerechtigkeit herausschreien. Jemand zückt ein Gewehr. Es fallen Schüsse. Schreie sind zu hören. Chaos bricht aus. Menschen gehen in Deckung. Auf der Straße bleiben leblose Körper liegen. Und ... das war‘s.

An das, was anschließend passierte, kann ich mich kaum erinnern. Es sind nur bruchstückhafte Momentaufnahmen von Menschen in Schwarz, grimmigen Gesichtern, die ich noch nie zuvor gesehen hatte (und auch nie wieder sehen würde), halbherzige Beileidsbekundungen, gefolgt von hässlichen Kinderheimen und kalten Pflegefamilien – bis zum nächsten Fluchtversuch. Ich glaubte daran, dass meine Eltern auf mich warten würden, wenn ich es zurück nach New York City schaffen würde. Irgendwo dort, hinter dem nächsten Hügel ... oder dem übernächsten. Was wusste ich schließlich schon, ich war ja nur ein Kind. Aber alles, was ich davon hatte, war mich immer weiter von meinem Ziel zu entfernen.

Meine Kindheit verging wie im Flug, und ehe ich mich versah, wurde ich zu dem, was so ziemlich alle Eltern, die etwas auf sich halten, am meisten fürchten – ein eigenwilliger Teenager. Rückblickend fühlt sich der dumme Scheiß, den ich mit meiner „Crew“ verbockte, verdammt peinlich an, und der Alkoholkonsum war das geringste meiner Probleme. Von Drogen ließ ich lieber die Finger. Dafür hatte ich zu viele dunkle Gassen gesehen, die mit menschlichem Abfall übersät waren. Die Einrichtungen atmeten jedenfalls erleichtert auf, als sie mich am Tag meines achtzehnten Geburtstags rausschmeißen konnten. Jetzt bist du ein Mann, Sammy, sagten sie, dein Schicksal liegt in deiner Hand. Verdammtes Los. Da stand ich also, ohne wirklich etwas zu können, außer – sich zu prügeln. Die Entscheidung lag auf der Hand. Noch am selben Tag verpflichtete ich mich zu sechs Jahren Armeedienst. Ich wollte ein paar Ärsche treten und es ordentlich krachen lassen. Wie ein echter Actionheld.

In der Armee zu sein ist großartig für Leute, die die richtige Einstellung haben. Falls es noch nicht klar geworden ist – ich gehörte nicht ganz zu dieser Kategorie; Befehle zu befolgen, war nicht gerade meine Stärke. Aber ich bin an vielen Orten gewesen, habe viele Menschen getroffen, mir ein paar Feinde gemacht und sogar einige Freunde gefunden. Mit einem Kerl aus meinem Kampfzug war ich besonders eng befreundet: Maddox. Wir verließen die Armee gemeinsam und wir waren wie Pech und Schwefel. Das waren gute Zeiten.

Rückblickend hätte ich vielleicht in der Armee bleiben sollen, aber Maddox hielt es für besser, in den privaten Sektor zu wechseln. Das Söldnertum kam gerade wieder in Mode, und es war immer noch besser, als Türsteher in einer schäbigen Bar zu werden. Wir träumten davon, tonnenweise Geld zu scheffeln und, was noch wichtiger war, es wieder auszugeben. Wir taten uns mit einigen weiteren Ehemaligen zusammen – man konnte uns kaum eine Einheit nennen. Aber wie sich herausstellte, hatte so ziemlich jeder Ex-Soldat diesseits des Atlantiks dieselbe Idee, und der Markt war schnell ... sagen wir mal – übersättigt.

Wieder einmal kam uns Maddox zur Hilfe – sein Vater war reich und hatte viele Beziehungen. Natürlich nichts auf höchster Ebene, aber genug, um einen Anfang zu machen. In den darauffolgenden Jahren machten wir uns einen Namen als straff organisierte Gruppe von erfahrenen Ausbildern, die bereit waren, für den richtigen Preis einem Haufen von Security-Leuten und konzerneigenem Wachpersonal zu zeigen, wie man ein Gewehr bedient.

Nicht gerade ein wahr gewordener Traum, der uns aber über die Runden brachte. Bis Dubai.

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