Eintrag 17 – Das Danach
Über die Schlacht an sich gibt es nicht viel zu sagen, nur dass wir unsere Stellung hielten. Das Schicksal des Feindes war besiegelt, als nach und nach weitere Perihelion-Truppen aus dem Camp eintrafen, und keine 30 Minuten nach dem Erstkontakt war von den anfangs so zahlreichen Feindeinheiten nur noch ein rauchender Trümmerhaufen übrig.
Und dann wurde es wieder richtig abgefahren.
Ich sammelte mich gerade nach dem Kampf wieder neu, lehnte an der Mamba, rauchte meine erste (aber definitiv nicht die letzte) Fluppe des Tages. Ich hätte gern so einiges gewusst, etwa wer eigentlich unsere jüngst verschiedenen Freunde gewesen waren. Espinoza war nun auch draußen, die Arme fest verschränkt. Sie sah sich um, als wisse sie nicht so genau, was sie nun tun solle.
„Yo!” Ich winkte ihr zu.
Sie war stocksteif und schien sich überhaupt nicht wohl zu fühlen, doch für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke. Sie hatte offensichtlich keine Lust, mit mir zu reden, und mir war sofort klar, dass sie mehr über unsere Lage wusste, als sie sich anmerken ließ.
Da sie kein Problem damit zu haben schien, da einfach peinlich berührt zu stehen, musste ich wohl den ersten Schritt machen, wenn ich wollte unbedingt wissen, was das in der vergangenen Stunde alles sollte.
Ich schlenderte also zu ihr rüber und lehnte mich wieder an den kalten Stahl ihres Nightsinger. Ich sah nicht sie an, sondern hoch zum Himmel. In mir tobte ein Kampf: Einerseits wollte ich des Rätsels Lösung wissen, andererseits gebot es der menschliche Anstand, diese sichtlich verstörte Frau in Ruhe zu lassen. Natürlich gewann meine Neugier.
Ein Gespräch mit einer Dame anzufangen, indem man unterschwellig eine Schuldzuweisung mitschwingen lässt, ist wohl kaum die feine englische Art, doch das war ja eh nicht so mein Ding. Ich bin mehr so der liebenswerte Halunke. Ja, genau, wem will ich da was vormachen? Ich bin in etwa so sympathisch wie die Pest.
„Also ... Du weißt doch, was hier läuft, oder?”
Keine Reaktion, außer einem fast unmerklichen Seitenblick. Ich seufzte.
„Hör mal, du musst mir sagen was hier läuft. Hier hat's Leute erwischt, unsere Leute.” Ich zeigte rüber zu einem brennenden Jaguar, der Sekunden nach seinem Eintreffen schon im Eimer gewesen war. Seine noch völlig benommene, rußgeschwärzte Crew behandelte direkt daneben einige kleinere Verbrennungen.
„Ich meine”, fuhr ich fort, „du weißt schon, dass das hier keinen Sinn ergibt, oder? Diese... wer auch immer das war ...” Ich gestikulierte vage in Richtung des nächsten Wracks, „die haben die ganze Basis in Schutt und Asche gelegt ... warum auch immer. Aber wir erledigen die binnen Minuten?”
Ich schüttelte den Kopf und schaute wieder hoch zu den Sternen.
„Entweder sind wir hier die beste Truppe auf dem ganzen Planeten, oder die Army hat WIRKLICH nachgelassen. Und da die Hälfte von uns früher bei der U.S. Army war, ist das wohl kaum der Fall.”
Espinoza schürzte die Lippen, öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, schloss ihn dann aber wieder, schüttelte auch den Kopf und schwieg erneut, bevor sie schließlich wusste, was sie sagen wollte.
„Sam ... du bist ein netter Kerl. Ich mag dich. Wirklich. Deswegen sage ich dir ...”
Endlich sah sie mir in die Augen, mit bislang ungekannter Intensität, um ihren Worten mehr Gewicht zu geben. Sie flehte mich quasi an.
„... hau hier ab. Hol dir einen anderen Job. Sag Murdoch, dass er dich mal kann.”
Bullshit. So einfach kam sie mir nicht davon, und der glühend rote Schmelzofen voller Bitterkeit und Wut, der in mir tobte, wurde durch ihre Worte nur noch weiter geschürt. Plötzlich wollte ich ausflippen, sie anschreien, weil sie so was auch nur vorgeschlagen hatte, doch zum Glück verflog dieser Impuls wieder, und ich konnte logisch denken. Ich wollte mir nicht die Chance versauen, mich von jemandem durch diesen Mix aus Twilight Zone und Acid-Trip führen zu lassen, nur weil ich mich unbedingt wie ein bockiges Kind aufführen musste. Zumal: Wer auch immer für dieses Chaos verantwortlich war, sie ganz bestimmt nicht.
„Nein. Niemals haue ich ab, ohne mir vorher ein paar Antworten geholt zu haben. Wir kennen uns noch nicht so lange, aber ... Ich denke, so gut dürftest du mich wohl kennen.”
Jetzt war ihr Blick purer Traurigkeit gewichen. Nicht der tränenerstickten Art, sondern jener tiefen, schwarzen Art, die man nicht mehr wegtrinken konnte.
„Ich weiß ... Ich weiß.”
Sie schüttelte den Kopf, holte tief Luft und sah mich wieder an.
„Dieses Wrack da”, sie zeigte auf ein großes, kastenförmiges Fahrzeug, dem eine Explosion die Hälfte der Federung weggerissen hatte. So ein Design hatte ich noch nie zuvor gesehen, nicht mal bei früheren Vorführungen.
„Sieht nicht verbrannt aus, und eine der Luken steht offen. Schau mal rein. Und keine Sorge. Ich warte hier.”
Ich zögerte einen Moment. Ich war nicht gerade scharf auf ein paar knusprige Leichen, aber sie scheuchte mich quasi dorthin.
„Los ... los!”
Es schien mir das Beste zu sein, auf sie zu hören, also ging ich langsam auf das Ungetüm zu. Eine der Luken oben stand tatsächlich offen, also kletterte ich vorsichtig an einer Seite hoch, wobei mir die Einschusslöcher einer Maschinenkanone halfen, und nachdem ich nach unangenehmen Überraschungen gesucht hatte, zwängte ich mich hinein.
Als ich – vollkommen verblüfft – wieder zu ihr zurück kam, stand sie immer noch dort, wie versprochen. Sie hatte eine Flasche Wasser in der Hand, die sie mir wortlos anbot. Ich nahm einen tiefen Zug.
„Also ...”
„Also?”
„Da ist ja keiner drin. Die Bedienelemente waren ... seltsam. Irgendeine komische Sprache, die ich nicht entziffern konnte. „Sieht aber nicht asiatisch aus ... Keine Ahnung!” Ratlos zuckte ich mit den Schultern.
Sie nickte und sah sich dann um.
„Einige unserer Truppen haben sich gemeldet. Die Dinger sind alle leer. Keine Leichen. Auch keine tote Infanterie. Alles einfach nur ... leer. Oder weg.”
Ich runzelte die Stirn.
„Du wusstest, dass ich nichts finden würde? Warum?”
Sie verzog keine Miene.
„Ich wusste nicht, dass du überhaupt nichts finden würdest. Nur ...” Sie biss sich auf die Lippe. „Etwas Seltsames. Ich weiß es doch auch nicht.”
Sie sah so verloren aus, wie sie sich da mit dem rechten Daumen und Zeigefinger die Schläfen massierte.
Doch das Rätsel der fehlenden Leichen musste warten. Mittlerweile kamen die Überlebenden der Army aus ihren Verstecken. Sie schienen nicht gerade hocherfreut zu sein, uns zu sehen. Ich sah, wie Twocrows sich mit irgendeinem Offizier stritt, bevor er dann mit besorgter Miene zu uns kam. Der Grund dafür lag auf der Hand.
„Die glauben, wir haben was damit zu tun, oder?”
Twocrows seufzte.
„Klar, natürlich geben die uns die Schuld. Die hatten hohe Verluste, fast alle tödlich. Der Feind ...” Er hielt inne. „Hat keine Überlebenden zurückgelassen. Höchst ungewöhnlich.”
Natürlich hatte er Recht. In jedem Krieg gab es weitaus mehr Verwundete als Gefallene, doch nicht hier. Der Feind hatte offensichtlich kein Interesse an Zeugen. Viele mussten sich in den Gebäuden und Bunkern der Basis versteckt haben, und zumindest etwas Material mussten auch die Überwachungskameras aufgenommen haben ... Mir lief ein Schauder über den Rücken bei dem Gedanken, was der Feind wohl angerichtet hätte, wenn wir ihm nicht ins Handwerk gepfuscht hätten.
„Und da wir die Einzigen sind, die hier noch herumlaufen und reden ...”
Espinoza bedachte mich wieder mit einem langen, prüfenden Blick, als wolle sie klären, wie viel ich wohl wisse und, noch wichtiger, ob sie mir wohl trauen könne. Ich war mir meiner Chancen nicht sicher, doch an jenem Abend war Fortuna mir hold.
„Jim. Sam. Der Laster da – holt ein paar Leute und ...” Sie zeigte auf den Transporter, den der Feind sich hatte holen wollen, bevor wir ihn dabei störten. „Bringt die Kisten, auf die sie's abgesehen hatten, in unser Camp. Was auch immer für die Störung verantwortlich war, ist jetzt weg. Die Leitungen sind wahrscheinlich immer noch im Eimer, aber ich werde versuchen, Ferguson oder sogar Murdoch direkt per Satellit zu erwischen. Stellt ein paar Wachen bei dem Zeug hier auf. Niemand, und ich meine wirklich NIEMAND rührt das an, ohne dass ich dabei bin. Selbst du nicht, Sam, kapiert?”
Ich nickte einfach weiter, ohne dass mir das bewusst gewesen wäre. Mir war es ganz Recht, dass sie das Kommando hatte, denn ich hatte ja noch immer keine Ahnung, was überhaupt los war, doch wenn ich mir die Hände würde schmutzig machen müssen, um mehr herauszukriegen, dann gerne. Zudem ist ein bisschen gute, alte Handarbeit am besten, um den Kopf frei zu kriegen, wie Miss Pembroke, die Schreckschraube, die mein letztes Kinderheim geleitet hatte, immer zu sagen pflegte. Erst jetzt, Jahre später, wusste ich zu schätzen, wie richtig sie damit gelegen hatte.