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Eintrag 3

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Eintrag 3 – Chicago

  • Vor etwa einem Monat, Sommer 2028

Chicago war nicht das erste Ziel meiner Wahl. Oder das zweite. Oder dritte. Aber die Flugtickets waren billig und die Miete, nun ja ... es genügt zu sagen, dass man dort für Peanuts überleben konnte, wenn man bereit war, im selben Haus mit einigen schillernden Persönlichkeiten zu leben. Solange man sich mit einer kulinarischen Einöde abfinden konnte (die Peanuts waren also durchaus wörtlich zu nehmen). Ich landete mit all meinen Habseligkeiten in einer Sporttasche und einem immer dünner werdenden Bündel Bargeld in meiner Tasche. Meine Rettung war Hector, ein Heimkind wie ich. das ich noch von früher kannte. Als Kind hatte ich nicht viele Freunde, aber wie heißt es so schön: Jede Regel hat ihre Ausnahmen. Zum Glück erkannte mich Hector wieder und hieß mich wie einen lang vermissten Bruder in seiner kleinen Herde willkommen.

Ein Teil von Hectors Welt zu sein, war wie nach Chicago zu kommen. Nicht meine erste Wahl. Aber er half mir, Essen auf den Tisch zu stellen und eine Bleibe zu finden. Und weil ich keine anderen Perspektiven hatte, war ich ihm dafür sehr dankbar. Bis zu dem Tag, an dem sich alles änderte

Die Erinnerung daran ist immer noch so lebendig, als wäre es vor einer Stunde passiert.

Der Morgen begann wie jeder andere. Es war noch früh, aber die Hitze, die von all dem Beton reflektiert wurde, der meine Wohnung umgab, machte sich bereits bemerkbar. Ein paar Stunden mehr und es würde unerträglich werden. Der Sommer in Chicago ist alles andere als angenehm.

Mein Haus hatte schon bessere Zeiten gesehen. Zumindest wäre es in den „guten alten Zeiten“ nicht sofort abgeschrieben worden. Wenigstens gab es kein Ungeziefer und keinen Schimmel im Kühlschrank. Meine Grübeleien wurden durch das Klingeln meines Handys unterbrochen. Ein Blick auf den Bildschirm ließ meine Stimmung noch weiter sinken. Hector hatte mich in letzter Zeit dazu gedrängt, mich in seine Geschäfte einzubeziehen, was ich nicht unbedingt tun wollte. Dann dachte ich aber daran, dass Bettler nicht wählerisch sein können, und nach zwei Monaten im Untergrund war mehr als nur mein Stolz angekratzt.

„Hi, Hector.“

Es war meine beste Imitation einer unbekümmerten Stimme. Er wusste, was los war, ich wusste, was los war, aber so lief das Spiel nun mal. Ein mürrisches Arschloch zu sein, würde mir kaum etwas nützen.

„Hola, amigo! Que pasa!“

Schon wieder dieser mexikanische Schwachsinn. Hector war Amerikaner in dritter Generation, in Chicago geboren und aufgewachsen, ein selbsternanntes Mitglied der dortigen „Mafia“, und ein kleiner König auf einem kleinen Hügel, der mit den anderen Aasfressern um Abfälle kämpfte. Er sah nicht einmal danach aus, aber sein verzweifeltes Bedürfnis, sich mit etwas zu verbinden – mit dem fernen Erbe seiner Familie, mit seinen Wurzeln, mit irgendetwas – ließ ihn so und nicht anders agieren. Wirklich traurig. Aber er hatte seine zehn fetten Finger in vielen Spielen, und ich brauchte einen Job, also war ich bereit, ihn zu verhätscheln.

„Nicht viel los. Hast du etwas für dich?“

Auf der anderen Seite war ein Glucksen zu hören.

„Immer noch nada?“

„Nee, Mann“, seufzte ich. „Dubai hat mich wirklich in die Bredouille gebracht.“

Jetzt würde er mich über mein Chaos belehren.

“Ayyyy, ich hab davon gehört. Einige cabrones haben wirklich Mist gebaut, sí? So was ist schlecht fürs Geschäft. Aber nicht für dich, mein Freund. Du hast dich nicht brechen lassen. Bist einfach weg. Das kann ich respektieren.“

So war es also. Er wollte wirklich etwas von mir, sonst hätte er mir die Sache unter die Nase gerieben. Aber er wusste, dass ich meine Grenzen hatte. Jetzt wurde es interessant. Entweder brauchte er jemanden, der wenigstens annähernd seriös war – und ich sah im Smoking sehr seriös aus – oder er suchte einen Sündenbock. Das Zweite war es eher nicht. Dafür hätte er billigere und leichter zu überzeugende Alternativen. Ich beschloss, endlich zur Sache zu kommen.

„Ja, du weißt, wie es ist. Kaum drehst du dich eine Sekunde weg, wirst du verarscht. Aber, um ehrlich zu sein ...“ Ich machte eine Pause, „Zum Teufel mit den Typen. Also, was kann der Pechvogel von Söldner für dich tun?“

Er wurde ernst. So ernst, dass er sogar den Akzent verlor, die er so sehr liebte.

„Also, hör zu. Da gibt es einen reichen Konzern, der nach einem Söldner sucht. Einen, der seinen Leuten zeigen kann, wo es lang geht. Nichts Großes. Eine kleine Infanterieeinheit, ein paar Panzer. Oder, um genau zu sein“, er hielt inne, „wäre das die erste Aufgabe. Um alles für die Truppe zu versammeln, die du anschließend befehligen wirst. Panzer, Offiziere, du weißt Bescheid. Dann wirst du sie ein paar Mal durch den Schlamm ziehen, den einen oder anderen Gauner in Texas abschießen, Überlebenstraining in Alaska ...“

Er hatte recht, ich wusste Bescheid. So etwas passierte jedes Mal, wenn ein Konzern beschloss, diskret zu expandieren. Jemand wollte offenbar schnell an viel Reichtum und Macht gelangen, ohne die offiziellen Wege gehen. Solche Jobs sind schon immer sehr selten gewesen, da sie mit vielen Bedingungen und Erwartungen verbunden waren. Große Konzerne vertrauten ihre Geheimnisse in der Regel nicht einem x-beliebigen Söldner an, auch nicht einem mit Erfahrung wie mir.

„... und dann geben sie dir eine richtige Wohnung, du heiratest ein nettes Mädchen aus den oberen Etagen, bekommst Kinder ... du weißt schon, all das, was unsereins nicht hat. Also, was sagst du, Partner?“

Und jetzt macht er einen auf Texaner. Gott, lass einen Blitz in ich einschlagen. Gerade als ich dachte, wir würden einmal ein normales Gespräch führen. Das Gefühl des Unbehagens ließ jedenfalls nicht nach. Keinen Deut. Ich wusste nicht, was ich darüber denken sollte, also entschied ich, auf Zeit zu spielen.

“Ich weiß nicht, Hector. Ich meine ... warum ich, du hast doch genug eigene Leute.“

Gelächter am anderen Ende der Leitung. Es klang gezwungen. Nur ein kleines bisschen, aber doch spürbar.

„Willst du etwa, dass ich meine Jungs in die Konzernhölle schicke? Sie wüssten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Und sie hassen Anzüge. Sie sind nicht ...“

Eine weitere Pause.

„...zivilisiert. Wie du und ich.“

Ich legte mich auf das Bett, den linken Arm unterm Kopf. Ich schloss die Augen, nahm mir einen Moment Zeit, um meine Gedanken zu sammeln, und stellte fest, dass ich etwas ganz Offensichtliches übersehen hatte.

„Wie hast du überhaupt davon erfahren? Und erzähl mir bloß nichts von „Gerüchteküche“, Hector. Ich meine, nichts für ungut, aber Leute wie wir bekommen normalerweise nicht die Gelegenheit, für ein echtes Unternehmen zu arbeiten. Und ich meine echte Arbeit, bei der man sich die Hände richtig, RICHTIG schmutzig macht. Denn dafür bin ich nicht der richtige Typ, das weißt du.“

Mehrere Sekunden Stille, gefolgt von einem schlecht kaschierten Seufzer.

„Also gut, jemand ist vorbeigekommen. Eine richtig elegante Chica. Zum einen wusste sie, wo sie mich finden konnte. Das hat mich schon mal stutzig gemacht, verstehst du? Zum anderen wusste sie allerlei mierda, das sie eigentlich nicht wissen dürfte. Von der Art, die man nicht ignorieren kann. Also haben wir, ähm, einen Deal gemacht. Sie hat sich ausdrücklich für dich interessiert. Wusste sogar, wo du wohnst. Komisch, oder?“

Ich runzelte die Stirn.

„Wie lange ist das her?“

„Einige Stunden.“

Okay, das war eine gute Nachricht. Wäre es eine Falle, wäre ich schon längst tot. Es war also kein Rachefeldzug meiner alten Kumpels.

„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“

„Ich wollte dich nicht verschrecken. Aber dir entgeht auch nichts, habe ich recht? Sie hat einige Anweisungen hinterlassen, wenn‘s dich interessiert. So oder so hat sie einen seriösen Eindruck gemacht, also hast du entweder mächtige Freunde gefunden, von denen du mir nicht erzählt hast, oder ... Keine Ahnung. Also, was sagst du?“

Ich seufzte und schloss die Augen. Was uns nicht tötet macht uns stark, oder?

„Ja, ich höre.“

Und so begann die ganze verdammte Affäre.

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